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Kontext & Szenario:

Vom Mittelalter bis heute: Ein langer Weg zu unserem Wohlstand

Seit dem Mittelalter erlebte die Gesellschaft in Mitteleuropa, insbesondere in Deutschland, einen kontinuierlichen strukturellen und sozialen Wandel. Das  dunkle Zeitalter der Könige, der Ritter und der Scharen von Unterdrückten wurde durch die harte Arbeit der vergangenen Generationen in eine blühende Demokratie mit einem bedeutenden wirtschaftlichen Wohlstand transformiert.

Die gemeinsamen Werte unserer Gesellschaft brachten in Deutschland die soziale Marktwirtschaft hervor, die heute jedem das Recht auf freie Bildung, ein Zuhause und einen gefüllten Kühlschrank garantiert. Diese und weitreichende andere Grundrechte stehen jedem Menschen zu, ganz unabhängig von seinen geburtlichen Verhältnissen und seinem rein wirtschaftlichen Nutzen für die Gesellschaft. Denn die Würde des Menschen ist unantastbar.[1] Auf diesem, seit dem Mittelalter stetig wachsenden, positiven Nährboden konnte eine große finanzkräftige Mittelschicht heranwachsen, welche ihre Arbeitsleistung Tag für Tag für unseren Wohlstand in die Waagschale wirft.


[1] Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 1

Unternehmen zum Teil bis heute im Mittelalter

Betrachten wir jedoch die Konzerne und Unternehmen, in denen diese Angestellten ihre tägliche Arbeit verrichten, weist deren Aufbau noch einen überraschenden Analogismus mit den altertümlichen Herrschaftsstrukturen im Mittelalter auf. So steht – vergleichbar mit dem mittelalterlichen König – an der Spitze eines jeden Konzerns eine einzelne Person: der Gründer, Eigentümer, oder Vorstandsvorsitzende. Dieser Person unterstehen in der Regel ein oder mehrere Geschäftsführer, welche dem mittelalterlichen Kanzler entsprechen. Die Direktoren und das Management können in ihrer Funktion den mittelalterlichen Herzögen und Hofmeistern gleichgesetzt werden. Richtet man schließlich den Blick auf die Scharen von Angestellten, so liegt der Vergleich zu den mittelalterlichen Untertanen nicht weit.

Doch nicht nur die Herrschaftsstrukturen in den Unternehmen wirken wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, sondern auch die engstirnige Sicht auf die Marktrivalen. Denn das Verhältnis zu den anderen Unternehmen mutet ebenso feudal an, wie der mittelalterliche Blick auf verfeindete Königreiche. Es wird mit Scheuklappen gekämpft und der eigene Boden verbissen gegenüber den Wettbewerbern verteidigt.

Die Art und Weise, in der Kommunikation und Führung stattfindet, erinnert ebenso an alte Zeiten: Denn auch das Klima und das tägliche Arbeitserleben scheint noch von konstitutioneller Macht und dem Prinzip der Unterordnung geprägt. Gemacht wird das, was der Chef anordnet. Und auch der Chef macht das, was sein Chef sagt, möchte er seine Position nicht riskieren. Unter diesen Vorbetrachtungen mag es kaum zu überraschen, dass oft auch der Tonfall in dem „geführt“ wird, einen mittelalterlichen Tiefpunkt erreicht. Die Grenzen zwischen starker Führung und cholerischen Tobsuchtanfällen sind dabei nicht selten so fließend, dass sie unsere unantastbare Menschenwürde in ungeahnte Tiefen reißen. Schließlich wird dieses mittelalterliche Ambiente noch durch zahllose Intrigen, egozentrischem Ränkeschmieden und einer Kakophonie aus schonungslosen Lästereien und Gerüchten auf den Fluren der modernen Unternehmens-Hochburgen vervollständigt.

Mittelalterliche Strukturen hinterlassen Spuren

So sehr die Unternehmen auf der einen Seite für den finanziellen Wohlstand unserer Gesellschaft verantwortlich sind, so sehr wirkt auf der anderen Seite das durch ihre Struktur vorgegebene Arbeitsumfeld, in welchem diese Wertschöpfung geschieht, unzeitgemäß. Ausschlaggebend für dieses negative Arbeitserlebnis ist in den meisten Fällen das strukturgegebene Verhältnis zwischen Mitarbeitern und Führungskräften.

Diese strukturelle Belastung bleibt nicht ohne Folgen. Sie hinterlässt deutliche Spuren: Jeder vierte Arbeitnehmer in Europa leidet im Laufe seines Lebens mindestens einmal an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung.[1]  Der Anteil von Frühberentungen aufgrund von psychischen Erkrankungen beträgt in Deutschland 40%.[2] Laut den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland haben sich die Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Erkrankungen in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Auch die Fehlzeiten werden länger. Laut Zahlen des Wissenschaftlichen Instituts des AOK-Bundesverbandes stiegen die Fehlzeiten von Arbeitnehmern mit psychischen Erkrankungen seit 1994 um 88 Prozent an.

In Deutschland leiden derzeit ca. 4 Millionen Menschen an einer behandlungsbedürftigen Depression.[3] Zehntausende Arbeitnehmer verstecken ihre Depression vor dem Chef. Sie werden in Besprechungen plötzlich von Panikattacken überfallen. Sie flüchten auf Toiletten und verbringen dort bange Minuten der Todesangst bis ihr kalter Schweiß schließlich trocknet und ihr Herzrasen verebbt. Mit einem künstlichen Lächeln nehmen Sie wieder ihren Platz ein.

Einst exzellente Mitarbeiter wandeln sich in gleichgültige Arbeitsmaschinen, distanzieren sich und werden zynisch. Ihr Erschöpfungszustand wird in erster Linie durch beruflichen Stress erzeugt. Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Erschöpfungszustände, Niedergeschlagenheit und Angstzustände sind nur einige der Symptome, welche für Millionen von  Menschen in Deutschland den Arbeitsalltag am treffendsten beschreiben. Sie leiden unter dem Burnout-Syndrom. So wurden von Ärzten und Psychotherapeuten Burnout bei 2,6 % bis 5,8 % der deutschen Bevölkerung diagnostiziert.[4] Die fatale psychische Belastung im Büro sorgt dafür, dass Burnout heute ein ernstzunehmendes und relevantes Problem für die Arbeitswelt ist.[5] So brennen immer mehr Angestellt aus, da sie von ihren Vorgesetzten regelrecht verheizt werden.

Wie macht man heute wirklich steil Karriere? Frägt man ganz konkret eine erfolgreiche Führungskraft bei einem namhaften Consulting-Unternehmen, überrascht uns die von einem wissenden Lächeln flankierte Antwort nur mäßig: „Wie man hier in das High Management kommt? …Die erste große Gehaltserhöhung, die erste nennenswerte Beförderung bekommt man nach dem ersten Burnout.“

Millionen Angestellte steigen hochmotiviert in ein Unternehmen ein, werden aber über einen längeren Zeitraum desillusioniert und landen schließlich in Resignation. Die wichtigste Rolle spielt dabei fast immer der direkte Vorgesetzte. Von ihm kommt meist zu wenig konstruktive Kritik und Unterstützung bei der Arbeit.[6] So hat etwa jeder vierte Arbeitnehmer in Deutschland innerlich gekündigt.[7] Diese Mitarbeiter empfinden keine emotionale Bindung mehr zu ihrem Arbeitgeber. Sie stellen in einer Art Selbstjustiz durch ihre Arbeitsverweigerung ihr Gerechtigkeitsgefühl wieder her.[8] Auch der Blick auf die restlichen Mitarbeiter ist ernüchternd: 61 Prozent aller deutschen Mitarbeiter machen lediglich „Dienst nach Vorschrift“, ihre Bindung an den Arbeitgeber ist gering.[9]

Die unfassbar große Schar der Mitarbeiter, die nur noch Dienst nach Vorschrift macht, hat in den bekannten Studien einen klaren Schuldigen für die innerliche Kündigung benannt: den Chef. Denn nicht das Gehalt, der Arbeitsplatz, das Kantinenessen oder die Höhe des Weihnachtsgelds entscheiden über die Zufriedenheit. Der Chef ist der Kündigungsgrund Nummer 1. So sind 56 Prozent der deutschen Arbeitnehmer unzufrieden mit ihrem Vorgesetzen. Fast jeder vierte (23 Prozent) bewertet seinen Chef sogar mit der negativsten möglichen Bewertung.[10]

Trotz unseres immensen gesellschaftlichen Fortschritts sind sehr viele Angestellte äußerst unzufrieden Der größte Teil dieser Unzufriedenheit liegt an den mittelalterlich anmutenden Strukturen und der mangelhaften Führungskompetenz des Systems. So scheint die Zeit überfällig für einen angemessenen Strukturwandel in der Arbeitswelt. Für eine Anpassung der mittelalterlichen Führungsverhältnisse an unseren heutigen Standard und den heutigen Zeitgeist.


[1] Vgl. Bundespsychotherapeutenkammer: Psychische Erkrankungen – Eine wachsende Herausforderung in der EU (2007)

[2] Vgl. Ausschuss für Arbeitsmedizin im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales: Studie Psychische Gesundheit im Betrieb (2012)

[3] Quelle: Deutsches Bündnis gegen Depression e.V.

[4] Vgl. Robert Koch-Institut Robert Koch-Institut: DEGS Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (2012)

[5] Vgl. Gabriele Freude, Leiterin der Arbeitsgruppe “Mentale Gesundheit und kognitive Leistungsfähigkeit” bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

[6] Vgl. Gallup: Engagement Index Deutschland (2012)

[7] Ebd.

[8] Vgl. Prof. Dr. Martin Hilb, Institut für Führung und Personalmanagement (IFPM) an der Universität St. Gallen

[9] Vgl. Gallup: Engagement Index Deutschland (2012)

[10] Vgl. Ruhr-Universität Bochum: Unzufriedenheitsfaktor Nummer 1: der Chef (2009)